Antikurdischer Rassismus-Institutionell, strukturell und auf individueller Ebene

  • Antikurdischer Rassismus wirkt in Deutschland auf einer tieferen strukturellen Ebene. Doch wird auch über diese Strukturen Rassismus in die Gesellschaft getragen und reproduziert, sodass bestimmte Gruppen von Menschen von ihm betroffen sind.

SULTAN UNVAR*

 

Gibt es antikurdischen Rassismus? Diese Frage muss mit einem klarem „Ja“ beantwortet werden. Im Folgenden ein paar Beispiele, wie antikurdischer Rassismus wirkt.
Was ist Rassismus? Rassismus ist ein vielschichtiges System. Er besteht so hartnäckig fort, indem Wahrnehmungen und Handlungen Einzelner, sozial bestehende Ungleichheiten und die Produktion von Bildern auf vielfältige Art und Weise miteinander verwoben sind und sich gegenseitig bedingen. Rassismus ist kein individuelles Vorurteil, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, ein Ausdruck gesellschaftlicher Machtbeziehungen. Rassismus ist schwer greifbar und das freie Sprechen über ihn ist schwierig, da keine*r selbst Rassist*in sein will. Und doch ist Rassismus tief in unsere Gesellschaften eingeschrieben und wirkt mit seinen Erfindungen und der Herstellung von Differenz, der Markierung, der Hierarchisierung und der sozialen Grenzziehung.
Dies ist eine allgemeine Definition von Rassismus. Um aber tiefer verstehen und auf antikurdischen Rassismus eingehen zu können, muss nochmal genauer hingeschaut werden. Die oben beschriebenen Muster können schließlich auch auf den Rassismus gegen Kurd*innen angewendet werden, doch hat antikurdischer Rassismus eigene Dynamiken und Inhalte, die nicht nur auf persönlicher Ebene zutage treten, sondern systematischer Natur sind und zwar nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland.

Was nicht gezählt werden kann
Institutioneller antikurdischer Rassismus wird durch das Recht, durch politische Entscheidungen, durch öffentliche Anerkennung und Förderung, durch internationale Beziehungen, durch Staaten und zivilgesellschaftliche Vereine, durch Behörden und ähnliche Institutionen gefördert und durchgesetzt. Erfahrungen, die Kurd*innen in diesen Bereichen machen, zeigt auf, wie sie in Deutschland behandelt werden, welche Rechte sie besitzen und welche nicht. Kurd*innen werden zum Beispiel nach wie vor äußerst selten als eigene ethnische Gruppe statistisch erfasst. Sie werden zumeist als Türk*innen oder Araber*innen gezählt. Es gibt so gesehen keine Kurd*innen in Deutschland, denn was nicht gezählt werden kann, taucht häufig nicht auf. Genauso ist es in der Türkei, laut deren Verfassung es nur Türk*innen gibt.
Wenn wir uns also institutionellen Rassismus anschauen, so können wir auf höchster Ebene erkennen, wie eng die Bundesregierung und das AKP/MHP-Regime und ihre Vorgängerregierungen miteinander verbündet sind. Sie stützen sich politisch gegenseitig, auch wenn das Verhältnis häufig als konfliktreich nach Außen verkauft wird, ist die Zusammenarbeit äußerst eng und die Interessen, insbesondere im Bezug auf den Umgang mit Kurd*innen, häufig identisch.
Die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands mit der Türkei zeigen das deutlich, besonders die Waffenexporte. So war die Türkei 2019 zum zweiten Mal in Folge die Nummer eins unter den Empfängerländer deutschen Kriegswaffen. Was die Türkei mit den Waffen macht ist natürlich klar. Viele der Waffen werden gegen die PKK und die Kurden eingesetzt. Problematisch ist hierbei, dass die NATO-Partnerin Türkei Kurd*innen als terroristisch bezeichnet und somit eine Möglichkeit bekommt militärisch gegen Kurd*innen vorzugehen.
Des Weiteren sind viele deutsche Unternehmen in der Türkei aktiv, die günstige Arbeitskräfte und billige Produkte aus der Türkei suchen, als an kurdischer Arbeitskraft interessiert sind.

Antikurdischer Rassismus auf allen Ebenen
Des Weiteren wirkt auch in Deutschland antikurdischer Rassismus auf einer tieferen strukturellen Ebene – in Strukturen wie Schulen, Universitäten, Behörden, Medien, Zivilgesellschaft, sodass deren Folgen nicht so offensichtlich diskriminierend oder gar kriegerisch erkennbar sind. Doch wird auch über diese Strukturen Rassismus in die Gesellschaft getragen und reproduziert, sodass bestimmte Gruppen von Menschen von ihm betroffen sind.
Auf der untersten Ebene bleibt die Einzelperson, die diesen strukturellen Rassismus verinnerlicht hat und auslebt, indem sie sich gegenüber einer andere Person oder Gruppe rassistisch verhält.

Über dem „normalen“ Rassismus hinaus
Antikurdischer Rassismus wirkt auf all diesen Ebenen, sodass Kurd*innen nicht nur dem „normalen“ Rassismus ausgesetzt sind, der sich in Deutschland gegen alle Menschen richtet, die nicht als weiß-deutsch gelesen werden, sondern auch einer besonderen Dimension, die speziell Kurd*innen betrifft. Dafür einige Beispiele, wie antikurdischer Rassismus wirkt:
Kurd*innen machen seit Jahrzehnten einen großen Teil der Gesellschaft in Deutschland aus. Viele Kurd*innen sind hier geboren, teilweise in der zweiten oder dritten Generation und haben einen deutschen Pass, sodass sie als „Deutsch-Kurd*innen“ bezeichnet werden. Dennoch werden Kurd*innen unsichtbar gemacht. Ob nun als Gastarbeiter*innen in den 60er Jahren oder später.
Zivilgesellschaftlich gibt es das Phänomen, dass sich die türkische Regierung oder ihr nahestehende türkische Verbände in Diskurse, die in Deutschland geführt werden einmischt und Raum für Perspektiven und Diskurse nimmt. Zuletzt und als gutes Beispiel, die Morde in Hanau, bei denen 9 Menschen von einem weißen Rassisten ermordet wurden. Unter ihnen waren auch Kurd*innen. Tayyip Erdogan hat kurz danach den Familien sein Beileid ausgesprochen. Die Hürriyet titelte daraufhin, dass solche Morde in der Türkei niemals passieren würden. Auch waren auf den Demonstrationen unzählige türkische Fahnen zu sehen. Hier wurden Kurd*innen nicht nur unsichtbar gemacht, es wurde auch tödlicher Rassismus in der Türkei verleugnet. Dieses Beispiel zeigt auf, wie antikurdischer Rassismus aus der Türkei heraus in Deutschland wirkt.

Türkisch für Kurd*innen Corona-Warn-App ohne Kurdisch
In Deutschland können mittlerweile in vielen Bundesländern Kurdisch-Sprachkurse für kurdische Muttersprachler*innen an Grundschulen gegeben werden. Allerdings müssen diese Kurse meistens von den Eltern beantragt werden und sind nicht wie türkisch Kurse selbstverständlich. Viele der mittlerweile erwachsenen Kurd*innen, die in Deutschland aufgewachsen sind, wurde ohne das Wissen ihrer Eltern in Türkisch-Kursen in einer ihnen fremden Sprache als vermeintlich türkische Muttersprachler*innen unterrichtet.
Aktuelles Beispiel ist, dass die „Corona-Warn-App“ nicht auf Kurdisch herausgebracht wurde. Die offizielle Begründung ist, dass Kurd*innen zumeist auch Türkisch oder Arabisch sprechen und lesen könnten und kein Bedarf an einer kurdischen Übersetzung bestünde. Damit wird Kurd*innen die Möglichkeit, sich medizinisch zu schützen, genommen und hier werden wieder Kurd*innen unsichtbar gemacht.
Bezüglicher ihrer Religion wird Kurd*innen in Deutschland nach wie vor oft unterstellt, sie seien Muslime, auch wenn von Aleviten oder Êzîden mittlerweile zumindest schon mal gehört wurde. Dann werden sie aber meist als Opfer und „die Anderen“ markiert. Kurd*innen gehören somit nicht zur Mehrheit, sie werden als rückständig und selten als fortschrittlich bezeichnet. Ihnen wird ein feudales oder patriarchales Denken angedichtet. Aufgrund des antikurdischen Rassismus wird die Fortschrittlichkeit der kurdischen Bewegung mit ihren Ideen zu Frauenbefreiung, Ökologie und Demokratie häufig nicht gesehen oder ernst genommen, obwohl sie das größte basisdemokratische Projekt und die größte Frauenbewegung im Mittleren Osten hervorgebracht hat.

Wie die Kinder Rassismus erleben
Der Großteil der Kurd*innen, die in Deutschland leben, hat eine Fluchtgeschichte und diese Menschen haben ihre Heimat nicht freiwillig verlassen. Stattdessen haben sie in der Heimat Gewalt erfahren und wurden dauerhaft von ihrer Herkunft abgeschnitten. Viele Kurd*innen leben mit Kriegstraumata sowie posttraumatischen Belastungsstörungen, die nicht behandelt und stattdessen an nachkommende Generationen weitergegeben werden. Dafür fehlt es an Wissen und Sensibilität. Êzîdische Geflüchtete werden stattdessen in den selben Unterkünften untergebracht wie Anhänger islamistischer Ideologien. Geflüchtete sollen Deutsch lernen, anstatt dass die wirklichen Leiden der Menschen behandelt werden. Wenn sie Nachts nicht schlafen oder sich nicht länger als eine halbe Stunde konzentrieren können, wird nicht gefragt, warum sie kaum Lernerfolge haben, sondern ihnen wird unterstellt, sie würden sich keine Mühe geben.
Kurdische Kinder erleben antikurdischen Rassismus nochmal anders. Sie werden oft geärgert, indem sie mit rassistischen Witzen aufgezogen werden. „Wer nichts wurde, wurde Kurde.“ „Was ist der Lieblingsjoghurt von Kurden? - Landliebe!“ Lehrer*innen sind für den Konflikt innerhalb der kurdischen und türkischen Communties nicht ausreichend ausgebildet und können diese Art des Rassismus gegen Kurd*innen nicht erkennen. Dieser Rassismus wird als Neckerei zwischen Kinder abgetan.
Aber nicht nur Kinder kennen solche Sprüche. Wer hat nicht schon auf Frage „Woher kommst du?“ mit „Kurdistan“ geantwortet und dann gehört: „Ach, das gibt’s doch gar nicht. Wo soll das denn sein?“

PKK Verbot und Karl Mays Orientalismus
Eine Besonderheit bei diesem antikurdischen Rassismus ist das seit 1993 in Deutschland bestehende PKK-Verbot und die dem vorausgehende Antipropaganda gegen Kurd*innen seit Mitte der 80er Jahre. Damals wurde gestreut, Kurd*innen würden mit Drogen dealen oder wären in Menschenhandel verwickelt. Seitdem ist die Gleichung „Kurd*innen = PKK = Terror“ in den Köpfen vieler Deutscher. Dieses antikurdische Bild von wilden und unzivilisierten Menschen wurde bereits durch Karl Mays Buch „Durchs wilde Kurdistan“ gezeichnet. Obwohl Karl May nie im Mittleren Osten war, bedienen seine Beschreibungen einen Orientalismus, eine Phantasiewelt in den Köpfen weißer Europäer*innen, die so nicht existiert hat.
Darum liegt es an uns Kurd*innen, uns bewusst zu machen wer wir sind und was wir wollen. Möchten wir kurdisch sein? Dann sollten wir ein Selbstverständnis als Kurd*innen haben. Mit unseren Kindern Kurdisch sprechen, wenn wir die kurdische Sprache beherrschen. An Newroz über Feuer springen und unsere Xaftans in Würde tragen. Auch sollten kurdische Akademiker*innen anfangen über antikurdischem Rassismus zu forschen, denn mittlerweile setzt sich die Erkenntnis durch, dass unterschiedliche Rassismen unterschiedlich wirken und zwar nur, weil viele dafür kämpfen.
Antikurdischer Rassismus als Wort reicht demnach nicht aus, um klar auszudrücken, mit welchen Dimensionen Kurd*innen in ihrem Leben, in ihrem Alltag zu kämpfen haben. Aus dieser Perspektive heraus sollte die Auseinandersetzung mit antikurdischem Rassismus weitergeführt werden und als besondere Form von Rassismus benannt und ernstgenommen werden.

* Sozial Arbeiterin: Arbeitet zur Zeit an einer Broschüre und Workshops zu Antikurdischem Rassismus an Schulen

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